Im hellen Glanz von fünf Sternen
Brunello – Schöpfungsgeschichte eines der berühmtesten Weine der Welt
Die Familie Biondi Santi ebnete dem edlen Tropfen den Weg
Die Einwohner des Städtchen Montalcino (zu deutsch Steineichenberg) sind stolz auf ihre mehr als 2000-jährige Geschichte. Zwischen Florenz und Rom in der toskanischen Provinz Siena auf einem Hügel gelegen, war der Ort bereits von den Etruskern und Römern besiedelt. Eine größere Bedeutung gewann er im Mittelalter als Wirtschaftsstandort. Mit dem Aufstieg des Christentums begann dann die eigentliche Blütezeit. Vor allem die weltberühmte und etwa zehn Kilometer südlich gelegene Benediktinerabtei Sant’Antimo verleiht Montalcino eine besondere geschichtliche und kulturelle Würde. Früh schätzten Fürsten in ganz Europa auch den in dieser Gegend angebauten Wein. Wen wundert’s? Schließlich ist Montalcino die Heimat des berühmten und prestigereichen Brunello. Dass dieser edle Tropfen einen Siegeszug durch die ganze Welt antreten konnte, liegt nicht zuletzt daran, dass die Reben unter hervorragenden klimatischen Bedingungen gedeihen und dass sich auf den steinigen, weniger fruchtbaren Böden der Weinberge konzentrierte, langlebige Weine entwickeln können.
Erste „Brunellos“ aus der Renaissance
Die Bezeichnung „Brunello“ tauchte bereits in Urkunden zu Beginn der Renaissance im 14. Jahrhundert auf. Zu dieser Zeit erlebte der italienische Weinbau einen großen Aufschwung. Doch es muss sich damals um ein Gewächs gehandelt haben, das dem heute so angesehenen Pendant keineswegs entspricht. Seinen Namen verdankte der damalige Brunello wohl vor allem seiner Farbe: tiefes Rubin- bis Granatrot oder helles Zedernholz. Schon damals belieferte die berühmte toskanische Adelsfamilie Frescobaldi das britische Königshaus und die namhaften Adelsgeschlechter vieler europäischer Länder mit ihren Weinen. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein war der bekannteste und am meisten geschätzte Wein des um Montalcino gelegenen Anbaugebiets allerdings ein süßer weißer Wein namens Moscadello di Montalcino. Er wurde gekühlt genossen und wird heute noch von einigen Produzenten der Region gekeltert. Und die „Roten“? Sie wurden von den Winzern der Toskana bis Mitte des 19. Jahrhunderts traditionell aus unterschiedlichen (auch weißen) Traubensorten hergestellt. Die einfachen, jung zu trinkenden Weine sollten damals ihren Halbpächtern bei der Landarbeit Kraft geben. In diese Zeit fällt auch die Geburtsstunde des Chianti. Dies sei vor allem deshalb erwähnt, weil Montalcino am Rande dieses Anbaugebietes – in den Colli Senesi – liegt.
Ein Stilist füllte einen Klon in Flaschen
Doch zurück zum berühmten Brunello. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entdeckte Ferruccio Biondi Santi einen besonderen Klon, eine Unterart der Rebsorte Sangiovese Grosso. Zuvor hatte sein Großvater Clemente Santi auf seiner Tenuta „Il Greppo“ bereits das Modell für den Brunello geschaffen. Da Ferruccio einen langlebigen, großen und sortenreinen Wein herstellen wollte, pflanzte er nur noch seinen Sangiovese an und ließ den Wein in Eichenfässern lange reifen. Im Jahr 1880 wurden die ersten Flaschen abgefüllt. Dies war damals in der Toskana eine Seltenheit, da noch traditionell in Fässern für den Eigengebrauch produziert wurde. Acht Jahre später wurde der erste Jahrgangswein Brunello di Montalcini gekeltert und in Siena als Spitzenerzeugnis auf den Markt gebracht. Danach hatte die Familie Biondi Santi über Jahre hinweg praktisch ein Monopol auf den edlen Tropfen. Der dunkelrote Wein gewann in der Folgezeit zunehmend an Duft, samtigerem Aroma, Harmonie und einem delikaten, intensiven Bouquet. Heute gilt Biondi Santi als Inbegriff des Brunello und zählt zu den Stilisten unter den Winzern von Montalcino. Rund ein halbes Jahrhundert nach Erscheinen des ersten Jahrgangsweins nahmen weitere Erzeuger ihre Arbeit auf. In den Flaschen von Angelini sowie in den Fässern und Weinballons von Barbi und Franceschi dürfte allerdings statt eines reinrassigen Brunello eher der sortenreine und vermutlich nicht ausreichend lang ausgebaute Sangiovese enthalten gewesen sein. Diese Praxis war damals durchaus üblich, weil es noch keine strengen Produktionsregeln gab.
Höchste Bewertungen in Hülle und Fülle
Nachdem im Jahr 1929 mit rund 900 Hektar angepflanzter Brunello-Reben ein Rekordstand erreicht worden war, wurden die Hänge der Weinberge um Montalcino in der Folgezeit von einigen schweren Krisen überschattet. Zunächst zerstörte die von Winzern sehr gefürchtete Reblaus die meisten Rebstöcke, später mussten nötige Investitionen wegen der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs zurückgestellt werden. Die Folge: Im Jahr 1960 war die mit Brunello bepflanzte Fläche nur noch 63 Hektar groß und die Zahl der abfüllenden Betriebe war auf elf gesunken. Doch als 1963 in Italien der Anbau, die Erzeugung und die Vermarktung von Weinen unter strengen gesetzlichen Schutz gestellt wurde, zeichnete sich eine Trendwende ab. Schon drei Jahre später gehörte die Anbauzone des Brunello zu den acht ersten Gebieten, die den Status einer „Denominazione di origine controllata“ (DOC) erhielten. Fortan musste jeder Wein, der den berühmten Namen tragen wollte, mindestens 42 Monate in Fässern aus slawonischer Eiche und 24 Monate in der Flasche reifen. Die Dauer des Ausbaus in Fass und Flasche wurde später in zwei Schritten auf eine Mindestreifezeit von 48 Monaten reduziert. Im Jahr 1967 – ein Jahr nach Erreichen des DOC-Status – wurde das Consorzio del Vino Brunello di Montalcino ins Leben gerufen. Es handelt sich dabei um einen freiwilligen Zusammenschluss einzelner Produzenten mit dem Ziel, das Ansehen und die Qualität des Brunello di Montalcino zu sichern und zu fördern. Dreizehn Jahre später, am 1. Juli 1980, wurde das heute rund 2.000 Hektar große Anbaugebiet um Montalcino sogar mit dem Status der noch strengeren Regeln unterliegenden DOCG („Denominazione di Origine Controllata e Garantita“) geadelt. Doch schon seit dem Zweiten Weltkrieg hatte der Brunello mit Spitzenbewertungen von sich reden gemacht: Ab 1955 wurden mehr als ein Dutzend Jahrgänge mit der höchsten Auszeichnung von fünf Sternen prämiert. Seit 1991 wird die Jahrgangsqualität der Weine am Rathaus von Montalcino auf künstlerisch gestalteten Fliesen dokumentiert.
Kellereien schossen wie Pilze aus dem Boden
Nachdem die Wein-Enthusiasten über viele Jahrzehnte hinweg den edlen Tropfen aus Montalcino unbeschwert genießen konnten, ein Schock: 2008 wurde der Ruf des Brunello beschädigt, weil lange gefeierte Großwinzer der traditionellen Sangiovese-Traube noch Merlot und Cabernet Sauvignon zugesetzt hatten. Diese Sorten sind natürlich nicht minderwertig, aber verboten. Der Betrug konnte nur als sehr ärgerlich empfunden werden, schadete er doch allen Beteiligten unter Einschluss der ehrlich arbeitenden Kleinbetriebe mit bester Qualität. Keinesfalls handelte es sich damals aber um einen Panscherskandal mit gesundheitsgefährdender Wirkung. Der gute Ruf des rubinroten Weins war denn auch nur vorübergehend ramponiert. Die Umsätze bewegen sich inzwischen wieder im Bereich des Erwarteten. Die meisten Flaschen des Brunello di Montalcino werden weiterhin ins Ausland – in erster Linie in die USA und nach Deutschland – exportiert. Neben diesem großartigen Wein finden weltweit auch der Rosso di Montalcino und der Sant’Antimo Millionen von Abnehmern. Der Brunello di Montalcino gehört heute neben dem Barolo aus dem Piemont und dem venetianischen Amarone zu den drei international angesehensten Rotweinen Italiens. Knapp 250 große und kleine Winzer produzieren ihn. Darunter sind reiche Unternehmer, ehemals bettelarme Halbpächter sowie zivilisationsmüde Bewohner italienischer Metropolen wie etwa Mailand. Sie alle dürfen ihren Wein Brunello nennen, weil der Schöpfer Biondi Santi es versäumt hatte, den Namen schützen zu lassen. Einige Kellereien bestehen schon sehr lange, andere sind erst nach 1960 während des plötzlichen Booms wie Pilze aus dem Boden geschossen. Längst ist der Brunello in Montalcino zum Allgemeingut geworden. Inzwischen genießen nicht nur die Toskana-Fraktion und deren Erben den strengen noblen Roten, sondern auch berühmte Zeitgenossen wie Bill Clinton und Michael Schumacher sind begeistert. Wer in Montalcino entlang der historischen Kirchen, des massigen Kastells, des schlanken Glockenturms und der geduckten Natursteinhäuser spazieren geht, trifft auf Menschen aus aller Welt, die sich einen lang gehegten Toskana-Traum erfüllen wollen. (mh)